Ausklang

Das Jahr verabschiedet sich an diesem Morgen mit einem Überzug aus weißem Glitzer auf den Relikten des vergangenen Herbstes. Ein großer Teil des Gartens  liegt im Schatten des Hauses. Zu tief steht die Sonne, um die ganze schimmernde Pracht zum Strahlen zu bringen. Und an den Stellen wo es ihr gelingt den Schatten  des Hauses zu überfliegen und auf die kleine gläsernen Kristalle zu treffen, leckt sie nach einiger Zeit alles auf, lässt nur die Farben des Winters zurück, ein wenig grün, etwas rot, die unzähligen Erdtöne der Verwelkung und das Schwarz des Maulwurfshügels.

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                                                                                                  Ausklang.

Mein Herz wiegt so schwer wie der Stein am Pfirsichbaum. Gestern flog meine Freundin G. für immer fort. Dort hin, wo niemand sie treffen kann, von wo es kein Zurück gibt. Gern hätte ich ihr zum Abschied hinterher geschaut. So wie ich den Wildgänsen hinterherschaue, die ihre Reise über mir im Himmel fortsetzen, ohne dass ich sie zum  Halten bewegen  kann. Ihr hinterherwinken, ein allerletztes Mal, bis  ich sie nur noch als kleinen Punkt wahrnehme, der in der Ferne in den Horizont eintaucht.  Stattdessen blicke ich in die Leere meiner  eigenen Sprachlosigkeit.

Was mir bleibt?  Das Bild, wie G. neugierig und wortsprudelnd durch den Garten spaziert. Mit Vorliebe wenn es  was zu Naschen gibt. Die ersten Kirschen vom Baum, die Klaräpfel, die vor allen anderen reif sind, Tomaten vom Strauch oder die Hände in den Rosmarin getaucht. Sie, die Strauch- und Baumpflückerin. Kein Schälen, kein überflüssiges Abwaschen. Einfach lustvoll reinbeißen, den Duft  aufsaugen, alte Kindheitserinnerungen füttern, glücklich sein.

Im nächsten Jahr werden die Äpfel vergeblich auf sie warten, so wie ich auch.  Ich vermisse sie schon jetzt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedhof der Kuscheltiere

 

dscn2284dscn2284In  den filigranen, herabhängenden Zweigen der Birken hängt das Rauscher  kleiner Brisen bis stärkerer Novemberwinde. Von Zeit zu Zeit führt es zu einem  zarten Zittern und Rascheln der Blätter. Es gibt auch Tage der Stille. Die Birken fassen den Garten ein und leiten gleichzeitig zur angrenzenden Schafweide  über.

Die Birke als Mittlerin vom  Hier zum Dort. Jetzt im Herbst, wo die meisten Bäume  ihre Blätter bereits völlig loslassen, sind die Birken noch belaubt,  senfgelb leuchtet es  in der Dämmerung.  Noch rahmt das Gelb die weißen  Stämme mit ihren schönen filigranen Zeichnungen.  Jeder von ihnen ist auf seine Weise ganz eigen, unverwechselbar.

Bei den sibirischen Schamanen gilt die Birke als Mittlerin zwischen den drei Welten. Der Unterwelt, der Erde und dem Himmel. Wie passend auch für  unseren Garten. Mittlerin zwischen Erde umd Himmel, vor  allem im Sommer, wenn die Hängematte  zwischen ihren Stämmen aufgehängt ist und  es nichts Entspannenderes gibt als den Blick durch ihr Blätterwerk in das Hellblau  zu schicken, schwebend und schaukelnd, aufgespannt zwischen oben und unten.

Ein kleines Stück  Unterwelt, findet sich auch bei uns. In der Tiefe der Erde, zwischen den Birken,  haben ehemalige Wegbegleiter unseres Lebens ihren Platz gefunden. Längst haben die Wurzeln der Bäume  sie allesamt  aufgesogen, einen Teil davon behalten, den anderen zurück in  den Himmel geatmet. Wenn im nächsten Jahr das zarte helle Grün der Birken sprießt, werde ich ein paar Blätter ernten,  sie mir in den Mund stopfen, sorgfältig kauen und meine Erinnerungen füttern.  Ich werde den wehmütigen Blick von Cheyenne, unserem Eurasier, schmecken,  das quirlige Hin und Her von Jacky dem Hamster, das flauschige Fell von Chili, das Schmatzen des Igels und den Schrecken des Morgens als mich die Amsel im Sturzflug durch ihren Tod weckte.
All die pelzigen und beflügelten Seelen sind gegangen und gehören doch noch immer dazu. Ein Teil der Erde, der Stämme, der Blätter des Himmels, des Regens. Alles verteilt sich neu. Zarte Birkenblätter in meinem Bauch – auch ich gehöre dazu.

Nicht weit von dem Platz, wo sie alle begraben liegen, steht eine  alte  bemoste Steinbank unter  den höchsten Birken des Gartens.  Direkt dahinter habe ich im Frühjahr ein weiteres tränendes Herz gepflanzt. Rosarot. Jetzt im November hat es sich in die Erde zurückgezogen.  Das Efeu rahmt den kreisrunden Ort, an dem es im Frühjahr erwachen wird. Die Veränderung schläft nicht. Dort kann ich sitzen und die Gedanken ruhen lassen.

Kein Garten ohne Ort der Erinnerung. Kein Garten ohne tränendes Herz.

 

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Verschenktes Geld

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Unsere Spitzhornschnecken vermehren sich ununterbrochen. Sie sind Weidegänger,  also eigentlich Brüder und Schwestern der Schafe hinterm Haus. Sie raspeln systematisch Faden- und andere Aufwuchsalgen ab, umklammern Blätter und Blüten, die im Teich gelandet sind, oder hängen an abgestorbenen Pflanzenteilen wie Kinder im Wasser an einer Luftmatratze.

Es sind Lungenatmer. Das haben sie mit den Schafen gemein, nur dass bei ihnen alles ohne einen einzigen Laut geschieht.  Nie sind sie in Eile, als lebten sie außerhalb der Zeit. Das  Gleiten ihres Fußes direkt an der Wasserunterfläche hat etwas Magisches. Es geschieht ohne jegliche Kraftanstrengung, als wäre es das natürlichste auf der Welt, kopfunter am nassen Nichts aufgehängt zu sein.
Anders als andere Schnecken haben sie nicht die Möglichkeit ihr Haus zu verschließen und fische ich sie aus dem Wasser, so taste ich ihr Gehäuse am Eintritt, zart und zerbrechlich. Ob das der Grund ist, dass sie jederzeit bereit sind, sich mit einander zu verbinden, sich zu umschlingen und gemeinsam das Wasser zu durchchweben?  Schnecken in Love.
Genau das führt dazu, dass ihre Existenz im Teich sehr umstritten ist. Unliebsame Gäste. Einmal eingezogen, wird  man sie angeblich nie mehr los. Ihre unentwegten  Liebeseskapaden führen zu unzähligen, an Blattunterseiten verhafteten, zukünftigen Schneckenpopulationen, die sich munter weiter fortpflanzen. Andererseits preisen einige die Schnecke als unbedingtes Muss für jedes Gewässer, ein ökologisch unbedenklicher Algenvernichter, der sich über alles her macht, was nicht in einen Gartenteich gehört. Es schleicht sich allerdings der Gedanke ein, dass dies besonders jene propagieren, die Spitzhornschnecken im zwanziger Pack für 14,95€  bei Ebay anbieten.

 

 

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Ich gehöre zu den Menschen, die sie mögen.

Was mich nicht daran hindert, sie mehrmals im Jahr in einen naheliegenden Naturteich auszubürgern.

Hunderte sind schon umgezogen.

Ausschüttung, ohne Gewinn. Na und.

 

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Victoria

 

 

Darf ich vorstellen: Victoria. Ich nenne sie Vicky. Sie ist eine Frosch. Eine kleine Frosch. Aus dem V-Wurf in diesem Herbst. Leider hört sie  so gut wie nie, wenn ich rufe.

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In unserer Familie war das Männliche, mit drei Männern, stets überrepräsentiert. Nicht, dass mich das gestört hat – nur manchmal  überfiel mich die Sehnsucht, nach einem weiblichen Gekicher, einer  Geste und dem wortlosen Einvernehmen, zwischen Frau zu Frau. Inzwischen sind die Jungs aus dem Haus, die Katze hat den Hund ersetzt, und so haben wir endlich eine weibliche Dominanz im Haus.

In unserem Garten ist das ausgeglichen. Denke ich zumindest. Da haben wir zum einen, unzählige Frösche, die besonders in den warmen Sommermonaten, vital und präsent sind. Der Artikel gibt hier klar den männlichen Status vor. Eindeutig heißt es der Frosch, nicht „die Frosch“und schon gar nicht „die Fröschin“. Es werden immer nur Froschkönige geküsst, „sei kein Frosch“, sagt niemand zu seiner Frau und auch die Schenkel, auf unserem Teller, falls überhaupt, wollen wir uns nicht als Frauenschenkel vorstellen. Heiße Luft in eine Schallblase gepresst, großes Imponiergehabe und ständig auf der Jagd, beschreibt unmissverständlich  ihn, „den Frosch“.

Diese männliche Schwemme in unserem Garten, wird durch die Schnecke zu Wasser und zu Land wett gemacht. Die Schnecke gibt eindeutig vor, dass sie nicht zur Beschimpfung eines verlangsamten, männlichen Landbewohners taugt und auch nicht, in der süßen Variante von Zuckerschnecke, als Kosenamen zum Einsatz kommt. Die Schnecke ist eindeutig weiblich. Sie zeigt sich entweder nackt oder eng mit ihrer Immobilie verhaftet, wobei meine Sympathie eindeutig der letzteren Gattung gehört. Sie frisst begeistert Grün aller Art, das was uns lieb ist und im Wasser das, was niemand mehr will. Ihre größte Schwäche, liegt in ihrer zurückhaltenden, leisen Art, beim Überqueren von Gehwegen und Terrassen, so dass nicht jeder meiner Schritt daneben geht und mir beim knackenden Geräusch vor Erschrecken, ein „Oh sorry, tut mir leid“ über die Lippen kommt. Ich meine es ernst –  in dem Fall, lässt sich tatsächlich nichts reparieren oder kitten.

Und die anderen Lebewesen? Teilen sich brav auf. Die Assel und der Lurch, die Ameise und der Regenwurm, die Raupe und der Grünspecht, die Libelle und der Rückenschwimmer und letztendlich die Geschlechtslosen, stellvertretend hier, das Rotkehlchen und das Pfauenauge.

Verwirrend wird es bei den unbeweglichen Lebewesen. Nehmen wir zum Beispiel unseren neugepflanzten Youngster, den Lederhülsenbaum. Er steht zwischen einer Robinie und einer gemeinen Hasel. Oder heißt es einem Haselstrauch? Und heißt der Lederhülsenbaum nicht eigentlich Gleditschie und ist die nicht weiblich? Gleditschie und Lederhülsenbaum, weiblich und männlich, vermischte Geschlechter, wie bei den Schnecken.  So viel zur Gendersachlage unserer Bäume. Bei der Robinie wiederum, haben wir es tatsächlich mit einer Scheinakazie zu tun. Robinie,  Scheinakazie, mit dem weiblichen Artikel, also doppelt weiblich und trotzdem wieder aufgelöst, wenn sie als Schotendorn oder Silberregen bezeichnet wird, jetzt mit männlichem Artikel. Wer hat sich das eigentlich mal ausgedacht? Und wie soll sich das merken, wer nicht in diese Sprache geboren wurde?

Der Fliederbusch, der Lebensbaum, der Schneeflockenbaum… alles mit Baum oder Busch hinten dran ist männlich, damit wurden viele Gehölze festgelegt, ohne ihr Vorderteil zu berücksichtigen. Das  ist schade.  Zum Ausgleich breiten sich in unserer Erde die Tulpen, die Glocken, die Rosen, die Lilien und die Hyazinthen aus. Welch Glück. Somit ist die Geschlechter-Ordnung wiederhergestellt.

Wozu es sächliche Pflanzen gibt, entzieht sich meiner Vorstellungskraft. Andererseits werden diese Pflanzen wenigstens nicht  festgelegt. Ob sie das schätzen? Fehlanzeige. Stimmt gar nicht. Von wegen sächlich. Das Radieschen auf meinem Teller, stellt sich bei näherer Betrachtung, als ein Radieschen da. Und da liegt es (er) also, und verströmt sein maskulines Ambiente. Dabei klänge eine Radieschen viel liebevoller, nicht so scharf und erdig, eher rund, rot und ein wenig französisch. Da verändert sich sofort mein Gefühl. Ich werde fast sentimental bei…eine kleine Radieschen…

Aber das, ist der deutschen Sprache, reichlich egal.

Herbstfarben: Trend 2016

Es ist zwei Monate her, als pünktlich zum Start der New York Fashion Week im September, das Pantone Color Institute, den Fashion Color Report veröffentlichte. Pantone-Farben, dass sind diese unsäglich kleinen Farbquadrate, die uns Aufschluss darüber geben sollen, wie unser neuer Teppich, die Wandfarbe oder der neue Sessel aussehen wird – was eine große Täuschung ist, weil die Farbe wenn später ausgebreitet, schwächelt  oder explodiert und es dann kein Zurück gibt und wir uns mit ihr arrangieren müssen, bis wir uns daran gewöhnt haben oder bei Ebay einen Hilferuf absetzen.

Der F-C-Report legt die aktuellen Farbtrends für Mode und Design fest. Zehn Farben geben dabei im Herbst 2016 den Ton an. Die Intention dahinter, ist durch ihre Auswahl, einen Gegenpol zum allgegenwärtigen Alltagsstress zu schaffen. Vermitteln, sollen sie Gelassenheit, Stärke und Optimismus. Gleichzeitig, wollen die Designer, durch die gewählten Farbkombinationen, auf das Bedürfnis der Konsumenten nach Stabilität eingehen.

Inzwischen, hängen all die Farben längst auf Kleiderstangen, gefaltet in Regalen oder schlafen in Schuhkartons und warten darauf, von aufgeregt, pessimistisch, jedoch hoffnungsvoll Suchenden, gefunden, nach Hause transportiert und getragen zu werden. Ein Poncho im Panetoneton Nr. 18-1630, ein Maxisamtkleid der Nr. 14-4122; schon fühlt frau sich besser, geht aufrechter, innerlich entspannt und  kann zumindest mit einem gewissen Standing, der bevorstehenden dunklen Jahreszeit  entgegensehen.

Die Farben haben so inspirierende Namen wie Dusty Cedar, Spicy Mustard  und so verwirrende wie Bodaciou.

 

 


 

 

Herbstfarben 2016,

denke ich, wo sollten die sich  prächtiger zeigen, als draußen im Garten. Zwischen Himmel und Erde werden sie  sozusagen  entworfen, wachsen heran und  zeigen sich in ihrer reinsten Form; was da an den Tischen der Designer entstanden ist, können nur Kopien sein.

Gleich hinter unserem  Haus kommt die Bestätigung. Ein Ufer ist vorhanden; luftige Blautöne  schweben am Himmel, wenn die Sonne sie lässt; es blüht und beert Aurora Red;  Lehm gibt es genügend, Haifische weniger, dafür andere Häute und selbst das ein oder andere senfgelbe Blatt lässt sich entdecken. Üppige Wiesen haben wir so weit der Blick reicht,  mit reichlich großartigem Bodacious dazwischen.  Zedernholz liegt bei uns nur in der Schublade, Senf  im Kühlschrank und schamlos sind hier draußen, höchstens die Schnecken im Wasser. Ich kann es schon ahnen, irgendwann wird alles Taupe.

 

 

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Aurora Red, das Orginal

 

 

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Bodacious Eisenkraut

 

 

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Persicaria Red

 

 

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Sheep Skin

 

 

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No Go – aber auch dabei

 

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Aurora Red küsst Lush meadow

 

 

 

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Spicy Gingo rahmt Riverside Haeven

 

 

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Shark Skin grenzt ein

 

Dusty Cedar

Dusty Cedar überall

 

 

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Pottbouri von Aurora Red, Spicy Moutard, Potter’s Clay, Shark Skin und Lush Meadow

 

 

 

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Dusty Cedar und Warm taupe im Hintergrund

 

 

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Spicy Moutard im Mittelpunkt

 

Airy Blue war nicht zu entdecken. Vielleicht morgen…

Nach meinem Gang durch den Garten, stellt sich sofort Gelassenheit, Ruhe und innere Stabilität ein.  Die Designer haben alles richtig gemacht – zumindest in diesem Herbst.

Sommervogel

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Tagvogel

Butterfliege

Raupenscheißer

Schmandlecker

Müllermaler

Buttervogel

Molkendieb

Marmotte

Pannevogel

Molkstrahler

Schuppenflügler

Schildkrötvogel

Lattichvogel

 

 

Basisnote Grün

 

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Die Frösche halten endlich  das Maul. Stattdessen piept es überall.

Mit den Tieren ist es wie mit den Blüten. Durch sie erfindet sich der Garten  immer neu. Unser Garten ist kein überbordender Blütengarten. Ein Blütenmeer entsteht höchstens im Frühling in den Kronen der Bäume. Es gibt keine Staudenbeete, wie ich sie voll Bewunderung im Garten von M. oder D. bestaune. Wo sich Farbe an Farbe – Form an Form reiht.  In den Zwischenräumen,  vertrocknen die ehemaligen Schönheiten meist unauffällig, mit schlaffen Blättern und hängenden Köpfen  oder ziehen sich diskret ins Erdreich zurück, bis ins nächste Jahr.

Unser Garten ist vor allem Grün. Es ist wie die Basisnote eines Duftes, auf der sich die kostbaren Essenzen erst entwickeln können. Grün schließt ein, ist Hintergrund und Farbstütze, gibt dem Blick die Richtung an, auf dem er bis zum nächsten Halt gleitet. Grün ist die Bühne  für den individuellen Auftritt jeder Solistin. Danach schließt das Grün,   bis an anderer Stelle Blüten neue Farbe pflanzen.

So, wie  mich das Überraschende Rot einer Montbretie oder das Violett einer Iris in  ihre Nähe lockt, gelingt es auch den Geräuschen. Manchmal ist es ein kleines Fiepen aus der Buchshecke, das schmerzliche Husten eines Igels, das Keckern einer Elster, das Rascheln einer kleiner Haselmaus oder das aufgeregte Schreien aller Amseleltern auf einmal, weil die Nachbarkatze oder der Kirchturmfalke seine Runden zieht.  Die Tiere teilen das Jahr in seine Abschnitte ein. Ist die zweite Vogelkindergeneration ins  freie Leben entlassen, sind es die kleinen Grillen, die in den warmen Augustsommernächten, den Büschen neben der Terrasse eine Stimme geben und mich in den französischen Süden entführen.

Aber noch ist es nicht so weit. Wie gesagt, Sperlinge können auch ganz schön die Klappe aufreißen. Die französischen Träume müssen warten.


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Gepflanzte Abwehr

                                                  

Die beste Zeit einen Baum zu pflanzen, ist vor zwanzig Jahren.

Die zweitbeste Zeit ist jetzt. (afrik. Sprichwort)

 

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Lederhülsenbaum.

Endlich hat er seinen Platz im Garten bekommen.

Im Alter sind Stamm und Äste sind mit Dornen bestückt.

Wogegen er sich damit bloß wehrt?

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Provokationen einer Amsel

Unsere Katze hat Schiss.
Wenn’s knallt, klingelt oder saugt.
Manchmal auch, wenn’s niest, raschelt oder eben nur lebt.

Sie ist durch Zufall in unserer Familie gelandet. Als eine Art  Zugabe. Natürlich haben wir so getan, als würden wir uns für sie entscheiden. Dabei gab es da nichts zu entscheiden. Ihr seidener Lebensfaden war mit  ihrem vitaleren hochbeinigen Bruder verknüpft, zu dem wir schon eindeutig JA gesagt hatten. Niemand von uns wollte da die Schere sein. So zogen zwei mutterlose Fellknäule bei uns ein, die sich gegenseitig beim Überleben erschreckten.

Sie war weniger als eine Handvoll. Zerrupftes Pipettenkind mit tränenden Augen, impfgeschädigt und schwächelnd, dass mich Tag und Nacht in seine Nähe zwang, bangend,  ob es wohl gelingen möge,  den winzigen Lebensdocht am Glimmen zu halten. Es gelang.

Sie ist  die Zarte. Die Träumerin. Die Trösterin, die unsere Sprache spricht.  Das Haus ist ihr sicherer Kokon. Sie liebt es in unseren  Betten. Mit uns oder ohne uns. Am liebsten geht sie raus, wenn wir  raus gehen.

Nachts wird sie zur Jägerin. Unzählige Mäuse hat sie schon gebracht. Vorsichtig, trägt sie sie in ihren Fängen, zwei Stockwerke hinauf, passiert drei Katzenklappen,  drei angelehnte Türen, weckt mich durch ein langgezogenes Miau und  legt sie stolz auf dem weißen Teppich im Schlafzimmer ab. Meistens lebend. Dann atme ich auf.  Das verschafft mir Möglichkeiten. Früher lies sie auch mal einen Vogel fliegen. Manchmal war’s auch ne Schweinerei.

Bis zu dem Tag X.
Der Tag, an dem sie, wie einen Pfeil durch den Garten, hinter die rettende Katzenklappe zischte. Attackiert aus der Luft von zwei Amseln, die danach wie Cherubim über der Klappe wachten, mit geschärften goldgelben Schnäbeln, falls sie  wagen sollte, noch einmal die Pfote  in die Nähe der nestflüchtenden Amselkinder zu setzen. Paradies-outsorcing.

Ab da wurde alles anders. Seitdem hat sie Respekt. Der Tiefflug eines Vogels, sein Gezeter oder auch nur der Schatten eines Flügelschlages versetzt  sie in Alarmbereitschaft und zügig  von draußen nach drinnen. Die Vögel genießen die katzenfreie Zone.

Lächelnd entdeckte ich gestern ein neues Amselnest in der frisch austreibenden Kletterhortensie.
Kuschelig ausgepolstert mit Haaren.

 

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Katzenhaaren.

Ich denke, sie sollten es nicht übertreiben.

Die Kunst des Verhüllens

 

Hunde werden umhäkelt, umstrickt oder  in klassische Karo-Design-Mäntelchen gesteckt.  Pferden werfen wir  Capes, Decken oder Teilburkas über, um sie gegen die Unbilden des Wetters zu schützen. (White Lady und Family.) Kindern ziehen wir  die Mützen tief  über beide Ohren und Erwachsene stecken sich selbst in wattierte Daunen-Outfits, da sie keine eigenen brauchbaren Federn haben.  Auch unser großer Rosmarinbusch bekommt jeden Herbst eine Hülle aus  Noppenfolie, damit er es schön warm hat – nur dieses Jahr sind wir auf einen Lidlleinensack umgestiegen und er ist halb erfroren. Lidl kann nichts dafür. Wir haben den  Rosmarin nicht nur zu spät eingepackt, sondern auch zu früh davon befreit. Ich mochte sie nicht mehr sehen, diese undefinierbare Sackgestalt neben der Haustür.  Sie war so unauffällig, wie eine  nachlässig eingewickelte Leiche aus einem schlechten Krimi, die darauf wartet endlich entsorgt zu werden. Meine Augen wollten das nicht mehr sehen und meine Hände reagierten mit wachsender Ungeduld. Bloß weg mit dem Ungetüm!
Wenn es wenigstens einen richtigen Winter gäbe, dann könnte ich  die ganze Zeit im Haus sitzen bleiben und müsste mich weder um den Garten, noch um seine Wintermumien scheren.

 

Auf’s Einwickeln verstehen sich andere besser. Eine befreundete Gartenarchitektin schickte mir Einblicke aus einem Garten in Peking.

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A.Riedel-Preuss ALCHEMILLA

 

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A.Riedel-Preuss ALCHEMILLA

 

Winterschutz in Peking

A. Riedel-Preuss ALCHEMILLA

 

Da haben wir sie wieder, die besondere Ästhetik des asiatischen Alltags. Die Chinesen sind  wohl auch die besseren Feinmotoriker, (haben ja viel kleinerer Hände, als unsere norddeutschen Riesenpranken) und  wie es aussieht, auch mehr Geduld und Zeit.  Denn das braucht sie sicher, diese Anti-Frost-Wickeltechnik. Selbst die untergebrachten Pflanzen, in den undefinierbaren Säcken,  strahlen etwas aus. Die Klamotten scheinen zu passen. Sozusagen auf den Busch geschneidert. Mit Fenster zum rausschauen.

Das ist die Kunst des Verhüllens a la Christo. Die Verhüllung zeigt  die Form und nennt den Inhalt.  Etwas scheint verdeckt und ist doch gleichzeitig da. Ich las: „…wer die Kunst beherrscht etwas zu verhüllen, hat eine magische Stufe erreicht, weil es  gelingt, ein Objekt zu zeigen, das seinen Charakter verschleiert, ohne ihn zu verlieren“ (Christian Lotz, Wrapped Reichstag).

Das ist dann wohl der Unterschied vom Rosmarin im Lidlsack . Der war eher  verpackt, als verhüllt.  Vor allem war er  verschwunden. Er konnte weder gesehen, noch erahnt werden. Er wurde nur einer Funktion zugeführt – dem Schutz. Alles andere wurde vernachlässigt. Kein Wunder, dass mir dies so gar nicht in unseren Garten zu passen schien.

 

                                                                          … und was ist dann eigentlich mit ihm?